Skriptum 2 | Bedeutung und Gefährdung der Biodiversität im Wald

Alpenbock (Rosalia alpina)
Foto von Jim Connell

Das Ökosystem Wald zeichnet sich durch viele Eigenschaften aus, die förderlich für die Biodiversität sein können. Der dreidimensionale Aufbau mit mehreren Schichten und ein besonderes Innenklima erlauben auch in Beständen, die von einer oder wenigen Baumarten dominiert sind, einen Reichtum an Nischen sowie an Arten. Auch der bewirtschaftete Wald ist langlebig und reagiert auf schwache bis mittlere Störungen elastisch. Die wirtschaftliche Schadschwelle ist im Vergleich zu landwirtschaftlichen Systemen sehr hoch, es gibt daher wesentlich weniger Eingriffe zur Bekämpfung von Schädlingen. So können sich an und von den Bäumen lebende Pflanzen- und Tierpopulationen auch in forstlich genutzten Wäldern über lange Zeiträume wenig gestört entwickeln. Dennoch haben manche Arten ihre Probleme. Der bewirtschaftende Mensch greift in die natürliche Entwicklung des Waldes ein und verkürzt oder unterbindet einige Phasen. Die Präsenz der Bäume einer Generation auf einer Fläche wird gegenüber der natürlichen Lebensdauer deutlich verkürzt, um das aus vielen anderen Aspekten so wichtige Produkt Holz zu gewinnen. Die langen Phasen des Zerfalls mit sich anreichernden Mengen stehenden und dann liegenden Totholzes fehlen zur Gänze. Das entzieht solchen Arten, die auf diese Phase angewiesen sind, die Lebensgrundlage. Bekannte Beispiele sind im Holz oder unter der Rinde brütende Käferarten wie der Alpenbock, der Heldbock oder der Zottenbock, die jeweils auf ganz bestimmte Qualitäten von totem Holz oder absterbenden Baumteilen angewiesen sind. Baumart, sonniger oder schattiger Standort, stehende oder liegende Position, Stärke oder Zersetzungsgrad bestimmen die Tauglichkeit für bestimmte Arten. Totholz ist also nicht gleich Totholz – Diversität ist auch ganz schön kompliziert. Manche Arten brauchen ganz bestimmte Bereiche in lebenden Bäumen, wie sie etwa alte und von den Jahren gezeichnete Veteranenbäume aufweisen. Nicht nur Insekten, auch andere Tiere sowie Pflanzen und Pilze sind auf diese in bewirtschaftenden Wäldern selten oder nicht zu findenden Strukturen bzw. Entwicklungsphasen angewiesen, manche Arten gelten daher als Urwaldrelikte. Um diese zu erhalten, ist es notwendig, die aus Sicht des Waldschutzes sehr häufig gebotene saubere Waldwirtschaft mit einer gewissen Erhaltung von Totholz in Einklang zu bringen. Das kann eine Gratwanderung sein, die Wissen und Fingerspitzengefühl erfordert. Darüber hinaus ist es für den Erhalt dieses Teils der Biodiversität nötig, Schutzgebiete einzurichten, in die gar nicht steuernd eingegriffen wird und natürliche Prozesse ungestört ablaufen können. Auch das ist nicht immer einfach und konfliktfrei. Doch dazu weiter unten.

Indikatoren für die Biodiversität

Will man Biodiversität messen, stößt man rasch an die Grenzen des Machbaren. Man kann einzelne Arten mit unterschiedlichen Methoden erheben und zählen, wird aber dabei oft nur Teilbereiche abbilden. Als praktikable Annäherung bietet sich die Verwendung von Indikatoren an. Diese analysieren Faktoren in der Landschaft, die einen bekannt förderlichen oder hemmenden Einfluss auf die Biodiversität haben. Im günstigsten Fall sind diese Faktoren aus zur Verfügung stehenden Datenquellen und laufenden Erhebungen zu ermitteln. Als ein Beispiel sei im Folgenden der am BFW entwickelte „Biodiversitätsindex Wald“ näher vorgestellt. Bei der Baumartenzusammensetzung wird eine der natürlichen Waldgesellschaft nahe kommende als positiv gewertet, störender Wildeinfluss als besonders negativ. Strukturelemente wie Totholz oder Veteranenbäume gehen positiv in die Wertung ein, wie auch eine ausreichend vorhandene Verjüngung der Bäume. Auch menschliche Maßnahmen gehen in die Wertung mit ein, das Vorhandensein von Schutzgebieten wie Naturwaldreservate wirken positiv. Das charmante an diesem Index ist, dass er sich aus Daten der österreichischen Waldinventur errechnen lässt, also keiner gesonderten aufwendigen Erhebungen bedarf. Die ersten durchgeführten Analysen zeigen höhere Werte des Biodiversitätsindex im Westen als im Osten des Bundesgebietes sowie eine Abnahme von den Alpen zum Alpenvorland und zu den außeralpinen Bereichen. Die Totholzausstattung erweist sich als ein wichtiger Treiber für diesen Unterschied, diese ist in den schwer oder nicht zugänglichen Lagen im Gebirge höher als in den Tieflagen.

Schutz der Biodiversität

Eine sehr wichtige Strategie zum Schutz der Biodiversität ist die einer naturnahen multifunktionalen Waldbewirtschaftung. So wird man vielfach in einem bewirtschafteten Wald Maßnahmen setzen können, um die Bedingungen für zahlreiche Arten zu verbessern. Diese lassen sich gut aus den oben erwähnten Indikatoren des Biodiversitätsindex ableiten: eine der natürlichen Zusammensetzung nahe kommende Baumartenmischung (wobei hier der Klimawandel einschränkend wirkt, wie unten zu diskutieren sein wird) mitsamt möglicher Verjüngung, die nicht durch starken Wildeinfluss gestört wird, die Erhaltung eines gewissen Anteils stehenden und liegenden Totholzes sowie von Veteranenbäumen sind solche Maßnahmen. Dadurch kann der Wald auf sehr großer Fläche zur Förderung der Biodiversität beitragen.

Kopfhornschröter (Sinodendron cylindricum)
Foto von Jim Connell

Für bestimmte Arten wird es aber darüber hinaus notwendig sein, besondere Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Wälder können vertraglich gesichert unter Schutz gestellt werden, wie es etwa beim österreichischen Naturwaldreservate-Programm oder anderen Naturschutzgebieten der Fall ist. Auf europäischer Ebene stellt die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie zusammen mit der Vogelschutz-Richtlinie ein zentrales Regelwerk dar, das durch die Errichtung eines europäischen Netzes besonderer Schutzgebiete (Natura 2000) für den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes natürlicher Lebensraumtypen und Habitate geschützter Arten sorgen soll. Wichtige geschützte Vogelarten im Wald sind zum Beispiel Auerhuhn und Birkhuhn, Schwarzspecht und Mittelspecht, Uhu und Habichtskauz. Für solche Arten sind Maßnahmen gegen die Beeinträchtigung der Lebensräume zu treffen und es gibt strenge Regelungen zu deren Schutz. Auch unter den holzbewohnenden Insekten finden sich streng geschützte Arten wie etwa der Heldbock, der Alpenbock oder der Juchtenkäfer. Für solche Arten gilt etwa ein Fang- bzw. Tötungsverbot sowie ein Verbot jeder absichtlichen Störung sowie jeder Beschädigung oder Vernichtung von Fortpflanzungs- oder Ruhestätten. Es ist leicht vorstellbar, dass derartige Schutzmaßnahmen zu Konflikten mit anderen Interessen am betroffenen Waldgebiet bzw. der forstlichen Bewirtschaftung führen können.

Insbesondere bei Massenvermehrungen forstschädlicher Organsimen kann es zu bedeutenden Problemen kommen. Borkenkäfer wie der Buchdrucker können in fichtenreichen Naturwäldern zum Motor der Waldentwicklung werden, indem sie alte Bäume auf großer Fläche zum Absterben bringen, wodurch sich neue Verjüngung unter reichlich Totholz einstellen kann. Im bewirtschafteten Wald sind derartige Störungen nicht akzeptabel, auch kann das flächige Absterben von Bäumen zur Beeinträchtig anderer Ökosystemdienstleistungen führen. Daher sieht das österreichische Forstgesetz auch die Verpflichtung der Waldeigentümer*innen zu Gegenmaßnahmen vor. In Zeiten von Massenvermehrungen von Schädlingen, wie etwa Borkenkäfern, wird es nötig sein, die waldhygienischen Eingriffe zu verstärken, auch, wenn einige davon den biodiversitätsfördernden Ambitionen zuwider laufen. Idealerweise bleibt dies zeitlich beschränkt. Auch in Schutzgebieten ist es notwendig, Pläne zum Management forstschädlicher Organismen auszuarbeiten, um vor allem auch die anliegenden Wälder zu schützen. Eine Abstimmung zwischen Eigentümer*innen, Nachbar*innen und Behörde ist angeraten. Außerhalb von Schutzgebieten ist bei der Anreicherung von Totholz viel Wissen und Fingerspitzengefühl nötig, damit daraus keine gesetzeswidrige Handlung mit massiven negativen Folgen für den bewirtschafteten Wald erwächst.

Bedrohung der Biodiversität im Globalen Wandel

Verschiedene Treiber des Globalen Wandels können die Biodiversität massiv bedrohen. Änderungen der Landnutzung hin zu intensiverer Nutzung werden meist zum Verlust wichtiger Faktoren für die Förderung der Biodiversität führen. Dies kann Elemente auf den bewirtschafteten Flächen betreffen oder durch starke Fragmentierung des Habitats negativ wirken. Um Gebiete zu überbrücken, die für bestimmte Arten nicht geeignet sind, können zwischengelagerte Trittsteinbiotope unterstützend wirken und der Isolation räumlich getrennter Populationen entgegenwirken.

Der Klimawandel mit starker Erwärmung und sich ändernden Niederschlagsmustern kann die Eignung eines Habitats für bestimmte Arten ganz massiv verändern. Das bedeutet etwa, dass eine an einem Ort derzeit natürliche Waldgesellschaft, die als positiv wirkender Faktor in die Beurteilung des Biodiversitätsindex eingeht, in einigen Jahrzehnten dort nicht mehr angepasst sein wird. Steigende Temperaturen bei längeren Trockenperioden werden die Häufigkeit von Massenvermehrungen bestimmter forstschädlicher Organsimen steigen lassen. Das wiederum macht verstärkte Forstschutzanstrengungen nötig, mitsamt daraus resultierenden negativen Auswirkungen auf die Biodiversität. Andernfalls ist mit stark steigender Baummortalität zu rechnen.

Zottenbock (Tragosoma depsarium)
Foto von Jim Connell

Als dritter Treiber des Globalen Wandels treten invasive gebietsfremde Arten in Erscheinung und können sehr bedeutende negative Wirkungen auf die Biodiversität haben. Pflanzen-, Pilz- und Tierarten werden absichtlich in neue Gebiete eingebracht oder werden mit Pflanzen und Pflanzenprodukten, gemeinsam mit anderen Handelsgütern oder als blinde Passagiere unbeabsichtigt verschleppt. Beispiele absichtlicher Verbringungen sind zahlreiche Pflanzenarten, die zu Nutz- oder Zierzwecken in neue Gebiete eingeführt wurden und dort verwilderten. Viele Arten bleiben harmlos, einige jedoch werden invasiv: Sie breiten sich stark aus und unterdrücken heimische Arten. Das kann Ökosysteme stark verändern, ein Rückgang der Biodiversität ist meist die Folge. Auch Insekten wurden absichtlich verbracht. Ein bekanntes Beispiel ist der asiatische Harlekin-Marienkäfer, der zur Blattlausbekämpfung zunächst nach Nordamerika und dann nach Europa eingeführt wurde. Nach seiner Etablierung wurde er zu einem bedeutenden Konkurrenten heimischer Marienkäferarten. Die überwiegende Zahl von Insekten wurde unbeabsichtigt und unbemerkt verschleppt. So gelangte etwa der Asiatische Eschenprachtkäfer vermutlich mit Verpackungsmaterial aus Holz nach Nordamerika. Dort wurde er binnen weniger Jahre zu einem der bedeutendsten Forstschädlinge, dem hunderttausende von Eschen zum Opfer fielen. Ebenso unbemerkt gelangte der Käfer ins Europäische Russland, von wo er sich Richtung Westen ausbreitet. Nun sind die Eschen in Europa schon durch einen pathogenen Pilz, den Erreger des Eschentriebsterbens, massiv bedroht. Es ist unschwer zu sehen, dass der Verlust einer Baumart massive Auswirkungen auf andere mit dieser in Verbindung stehenden Pflanzen- und Tierarten und somit die Biodiversität haben kann. Aber auch, wenn eine neue invasive Art nicht gleich zu großer Baummortalität führt, können Auswirkungen auf die Biodiversität zu erwarten sein. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Amerikanischen Eichennetzwanze, die sich in den letzten Jahren enorm rasch über Südost- und Mitteleuropa ausgebreitet hat (und seit 2019 in Österreich nachgewiesen ist). Die Tiere saugen an den Blättern der Eiche, sodass diese mit der Zeit vertrocknen. Das ist für die Eiche nicht tödlich, beeinträchtigt allerdings ihre Vitalität. Groß können die Auswirkungen für andere Arten sein, die sich an Eichenblättern entwickeln. Da die Eichenarten eine Vielzahl spezialisierter Insektenarten ernähren, könnten die Folgen eines jahrelangen starken Befalls mit der invasiven Netzwanze auf die Diversität des Eichenwald-Ökosystems erheblich sein. Die Beispiele illustrieren, warum ein gutes Schutzsystem vor invasiven gebietsfremden Arten nicht nur zur Vermeidung großer wirtschaftlicher Schäden, sondern vor allem auch zum Schutze der Biodiversität wichtig ist.

Biodiversität für die Waldgesundheit

Viel war zuvor die Rede von der Gefährdung und vom Schutz der Biodiversität, wollen wir nun umgekehrt betrachten, wie Biodiversität zur Waldgesundheit beitragen und vor Schäden im Wald schützen kann. Mechanismen können auf zweierlei Arten wirken, um Schadorganismen in vielfältigen Waldbeständen besser unter natürliche Kontrolle zu bringen. Einerseits sollten spezialisierte Schadorganismen (das können Insekten oder Krankheitserreger sein) dort häufiger vorkommen, wo ihre Wirtspflanzen in großer Dichte vertreten sind. So finden sie leichter neue befallstaugliche Wirte – ein rasches Wachstum der Schädlingspopulation ist möglich. Umgekehrt haben es solche spezialisierten Pflanzenfresser schwieriger, wenn es neben den geeigneten Wirtspflanzen auch noch ungenießbare oder nicht befallstaugliche gibt. Das Auffinden neuer Wirte ist erschwert, das Wachstum der Schädlingspopulation gehemmt. Natürlich wird dieser Mechanismus nicht immer gleich gut wirken, diverse Bestände sind nicht völlig gefeit vor Schädlingsvermehrungen. Es ist auch zu bedenken, dass es Arten gibt, die auf einen Wechsel zwischen Wirtsarten angewiesen sind. Ebenso werden Schädlingsarten mit einem weiten Nahrungsspektrum auch in vielfältigen Beständen genügend geeignete Wirte finden.

Scharlachkäfer (Cucujus cinnaberinus)
Foto Jim Conell

Der zweite Wirkmechanismus der Vielfalt zielt auf die natürlichen Gegenspieler (Räuber, parasitische Insekten, Krankheitserreger) von Schädlingen ab. Häufig finden diese in vielfältigen Ökosystemen bessere Bedingungen vor. Viele räuberische und parasitische Insektenarten leben nur im Larvenstadium von anderen Insekten, im Erwachsenenstadium sind sie oft Blütenbesucher. Daher brauchen diese Arten neben den geeigneten Insekten als Beute/Wirte auch Blütenpflanzen als zusätzliche Nahrung. Manche Arten wiederum sind länger vorhanden als das Schadinsekt (unser Zielorganismus), diese müssen also noch weitere, andere Insektenarten als Beute/Wirte zur Verfügung haben. Für überwinternde Stadien des Räubers oder Parasiten müssen geeignete Habitate zur Verfügung stehen. Sowohl weitere Beute-/Wirtstiere als auch Habitate finden sich oft in Elementen, die wir zuvor als biodiversitätsfördernd genannt haben. Nachdem viele unserer schädlichen Forstinsekten nicht von einer Art kontrolliert werden, sondern von einem vielfältigen Gegenspielerkomplex, wird es nicht möglich sein, maßgeschneiderte Lösungen für alle zur Verfügung zu stellen. Hier gilt zu hoffen, dass mit einer Vielfalt an Pflanzenarten und Strukturen sowie damit einhergehend einem ausreichenden Angebot an Wirts- bzw. Beutetieren dauerhafte Populationen verschiedener Gegenspieler in ausreichender Dichte erhalten werden, die zu einer natürlichen Kontrolle der Zielorgansimen beitragen.

Aber beide Mechanismen wirken nicht immer so effizient, dass Massenvermehrungen der Schädlinge ausgeschlossen sind. Manchmal können die Schädlinge in ihrer Vermehrung den natürlichen Gegenspielern davoneilen, sodass diese ihre notwendigerweise zeitverzögerte Wirkung erst entfalten, nachdem aus unsrer Sicht der Schaden bereits eingetreten ist. Äußert sich dieser Schaden im Absterben von Bäumen einer Art, dann kann Vielfalt – in diesem Falle eine Vielfalt an Baumarten – auf eine dritte Weise wirken, nämlich als Versicherung. Der Ausfall einer Baumart wird dann nicht zum vollständigen Verlust des Baumbestandes auf der betroffenen Fläche führen und das Entstehen großer Kahlflächen verhindern – wie wir es etwa derzeit vielerorts in Folge der laufenden Buchdrucker-Massenvermehrung sehen.  

Wir haben somit festgestellt,  dass Diversität auch der Waldgesundheit dienlich sein kann. Gerade in Zeiten des Klimawandels ist das Ermöglichen einer Vielfalt an Arten (einschließlich einer Mischung von Baumarten) und Strukturen ein Mittel, den Unsicherheiten zu begegnen. Nicht zuletzt aus diesem Grund sollte auch im bewirtschafteten Wald danach getrachtet werden, die Biodiversität zu fördern.

Und nun Zur Vorlesungsreihe von Gernot Hoch…..